FIDLEG SOLUTION - News 1/2019

The show goes on - die strafrechtliche Seite der Retrozessionen

In den Ausgaben 11/2018 und 12/2019 haben wir Ihnen die regulatorischen Aspekte von Retrozessionen nach MiFID II / MIFIR (hier) bzw. nach FIDLEG (hier) aufgezeigt. Dabei haben wir auch einen Blick auf die zivilrechtlichen Aspekte geworfen. Damit ist die Geschichte der Retrozessionen aber nicht etwa abgeschlossen, ganz im Gegenteil. Vielmehr wurde sie Ende 2018 um ein wesentliches Kapitel erweitert. So hat das Schweizer Bundesgericht in einem neuen, wegweisenden Entscheid Retrozessionen auch von der strafrechtlichen Seite her betrachtet – und zwar zu Ungunsten der Empfänger von Retrozessionen.

WAS SIND RETROZESSIONEN IM STRAFRECHT?

Wie unter MiFID II / MIFIR und FIDLEG und dem Entwurf zur FIDLEV wird der Ausdruck „Retrozession“ auch im Schweizer Strafgesetzbuch (StGB) nicht verwendet. So gibt es denn auch im ganzen Schweizer Vermögensstrafrecht (Art. 137 – 172ter StGB) keine Bestimmung, welche explizit auf Retrozessionen Anwendung findet.

Die zu beantwortende Frage ist demnach, ob das Zahlen und/oder Empfangen von Retrozessionen von einem der bestehenden Straftatbestände erfasst wird. Dabei gelten als Retrozessionen – wie unter MiFID II/MIFIR, FIDLEG und Obligationenrecht jede Art monetärer und nichtmonetärer Zuwendung, die eine Person erhält, weil sie einem Dritten eine Finanzdienstleistung erbringt, wie z.B. dessen Vermögen verwaltet, ihm ein Finanzprodukt anbietet oder ihn in Vermögensangelegenheiten berät. Darunter fallen also insbesondere Courtagen, Kommissionen, Provisionen, Rabatte oder sonstige vermögenswerte Vorteile. Das Verständnis ist also sehr weit.

Als mögliche Tatbestände kommen dabei vor allem die Veruntreuung (Art. 138 StGB), der Betrug (Art. 146 StGB) und die ungetreue Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) in Frage.

WAS HAT DAS BUNDESGERICHT GENAU GESAGT?

Der fragliche, wegweisende Entscheid ist BGE 144 IV 294 (6B_689/2016) vom 14. August 2018 (hier). Darin hielt das Bundesgericht fest, dass ein Vermögensverwalter, der seinen Kunden über Retrozessionen nicht informiert (und somit auch nicht herausgibt), sich der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 Abs. 1 StGB schuldig macht.

Der Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung lautet wie folgt:

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  • Wer aufgrund des Gesetzes, eines behördlichen Auftrages oder eines Rechtsgeschäfts damit betraut ist, Vermögen eines andern zu verwalten oder eine solche Vermögensverwaltung zu beaufsichtigen, und dabei unter Verletzung seiner Pflichten bewirkt oder zulässt, dass der andere am Vermögen geschädigt wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
  • Wer als Geschäftsführer ohne Auftrag gleich handelt, wird mit der gleichen Strafe belegt.
  • Handelt der Täter in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, so kann auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren erkannt werden.
WAS IST PASSIERT?

Dem Urteil BGE 144 IV 294 liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

X war Alleinaktionär und Geschäftsführer der Vermögensverwaltungsgesellschaft Y SA mit Sitz in der Schweiz. Y SA verwaltete u.a. das Vermögen von A und dessen Familie. Überdies war X persönlich der Vormund von A.

A hatte sein Vermögen auf Konten und Depots bei einer depotführenden Bank. Die Y SA verfügte über eine Vollmacht über diese Konten und Depots. Die depotführende Bank zahlte der Y SA wegen der Vermögenswerte des A Vergütungen von total mehr als CHF 400‘000. Weder X noch die Y SA informierten A bzw. dessen Familienmitglieder über diese Zahlungen und die Y SA gab diese folglich weder dem A noch dessen Familienmitgliedern heraus.

Da die Y SA die Vermögensverwaltung für A gestützt auf ein Auftragsverhältnis ausübte, stellte das Bundesgericht die Pflicht zur Rechenschaftsablegung gemäss Art. 400 OR der Y SA gegenüber A über allfällige Zuwendungen Dritter weder in Frage noch diskutierte sie diese - dies vor dem Hintergrund der mehrfach bestätigten Rechtsprechung (BGE 143 III 348; 138 III 755; 137 III 393). Die zu beantwortenden Fragen waren somit nur noch

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  • ob X als Organ der Y SA für die unterlassene Rechenschaftsablegung der von ihm kontrollierten Y SA strafrechtlich belangt werden kann;
  • ob durch das Unterlassen der Rechenschaftsablage der Tatbestand von Art. 158 Abs. 1 StGB erfüllt wird.

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Die Doktrin war in dieser Frage gespalten, wobei sich die Mehrheit offenbar für die Strafbarkeit aussprach. Das Obergericht des Kantons Bern hatte die Strafbarkeit nach Art. 158 Abs. 1 StGB im Jahre 2013 bestätigt (Entscheid SK 2012 2018 vom 4. Juli 2013).

Das Bundesgericht hatte bislang lediglich festgestellt, dass Organe von Vermögensverwaltungsgesellschaften über eine Garantenstellung gegenüber den Kunden der Gesellschaft verfügen und dass das Verheimlichen von Informationen unter Verletzung der Treuepflichten als Betrug durch Unterlassen qualifizieren kann (6S.23/2002 vom 8. April 2002).

Daraus schloss das Bundesgericht, dass die Pflicht zur Rechenschaftsablegung eine qualifizierte Handlungspflicht darstellt, dessen Verletzung den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 Abs. 1 StGB erfüllen kann. So kam das Bundesgericht in diesem neuesten Entscheid BGE 144 IV 294 (hier) klar zum Schluss, dass das Verheimlichen von Retrozessionen den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 Abs. 1 StGB erfüllt. Dass X dabei auch als Vormund gehandelt hat und somit wohl eine gesteigerte Garantenstellung innehatte, war dabei nicht mal ausschlaggebend. Und das Argument von X, dass er guten Glaubens gehandelt habe, da A in seinem Vermögensverwaltungsvertrag (pauschal, d.h. in Unkenntnis der effektiven Zahlen bzw. deren Parameter) auf die Herausgabe verzichtet habe, berücksichtigte das Bundesgericht angesichts der klaren Rechtsprechung auch nicht.

Fazit ist also:

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  • Das Empfangen von Retrozessionen ohne Information und Herausgabe an den Kunden erfüllt den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung.
  • Ob sich die die Retrozessionen zahlende Bank bzw. deren Vertreter einer Art der Teilnahme, vor allem der Gehilfenschaft nach Art. 25 StGB oder Mittäterschaft schuldigt macht, hat das Bundesgericht offengelassen.

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WAS IST ALSO VORZUKEHREN?

Die Wirkung dieses Urteils ist nicht zu unterschätzen. Während nämlich der eine oder andere aufgrund rein zivilrechtlichen Folgen wohl das Risiko in Kauf genommen hat, im schlimmsten Fall die Retrozessionen herauszugeben, die er ja ohnehin herausgeben musste, erlangt dieses Verhalten mit diesem Urteil eine ganz andere Dimension. Kommen die einbehaltenen Retrozessionen nämlich ans Tageslicht, so sind nicht nur die einbehaltenen Beträge (und allfällige Zinsen) herauszugeben. Vielmehr kann der Täter auch strafrechtlich mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe belangt werden, wenn auch allenfalls nur bedingt (Art. 42 ff. StGB). Und wenn die Strafe gefällt ist, dann stellt sich noch die Frage, ob die fragliche Person noch die Gewähr für eine leitende Funktion bei einem Finanzinstitute erfüllt. Dies dürfte fraglich sein, da gerade Vermögensdelikte der Gewähr grundsätzlich entgegenstehen.

Somit stellt sich die Frage, was jedes Finanzinstitut und jedes Organ eines Finanzinstituts vorzukehren hat, um nicht wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung verurteilt zu werden:

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  • Jedem Finanzinstitut ist zu raten, dass alle Retrozessionen korrekt und vollumfänglich offenzulegen.
  • Gestützt darauf hat das Finanzinstitut sicherzustellen dass alle Retrozessionen, auf welche nicht rechtsgültig verzichtet worden ist, vollumfänglich herausgegeben werden.
  • Jedem Mitarbeiter eines Finanzinstituts muss geraten werden sicherzustellen, dass er sich um die Offenlegung und Herausgabe gekümmert hat, sollte er mit Retrozessionen in Kontakt stehen. Schliesslich trifft die strafrechtliche Konsequenz nicht das Finanzinstitut, sondern die für dieses Institut arbeitende natürliche Person direkt.
  • Den Retrozessionen zahlenden Banken ist zu raten sicherzustellen, dass sie sich keiner Teilnahme schuldig machen. Im Rahmen des ihnen Möglichen haben sie vorzukehren, dass der Empfänger der Retrozessionen weiss, dass er diese offenzulegen und allenfalls herauszugeben hat.
DA KOMMT NOCH MEHR…

Die nächste Ausgabe der FIDLEG SOLUTION – News befasst sich mit dem Angebot von Finanzdienstleistungen und Finanzinstrumenten nach FIDLEG.

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